Augenblick Mal über “Jetzt bestimme ich!”

Bianca Sue Henne über “Jetzt bestimme ich!” im Festival-begleitenden Heft:

Jetzt bestimme ich  fügt den Fragen, denen Juli Zehs Kinderbuch nachgeht, die Dimension der Repräsentation hinzu. Wer darf für mich entscheiden? Was empfinde ich als gerecht? Wovon werde ich beeinflusst? Wann lasse ich mich gern beeinflussen? Wessen Perspektive hat mehr Gewicht? Wie vernünftig muss eine gute Entscheidung sein? Gilt das nur für die Familie oder auch für andere Zusammenhänge?

Die Geschichte wird in ihrer Holzschnittartigkeit mit den scheinbar einfachen Lösungen auch in den theatralen Mitteln und durch die Verkörperung durch Schauspieler*innen real und relevant. Was im Buch charmant durchdacht und illustriert ist, bekommt hier eine andere Dimension, die das Gedankenexperiment überwindet. Die Komik, die in Juli Zehs Vorlage steckt, potenziert sich, wenn wir die Akteur*innen erleben in ihrem Ringen um die gerechte Entscheidung. So ruft die Inszenierung zur Revolte auf, zum Aufstehen gegen Entscheidungen, deren Enstehung nicht durchsichtig ist und zur Reflexion über die Frage, ob wirklich alle gemeint sind in unserer Demokratie. Das inklusive Ensemble macht die Überlegungen zum Thema für sich und seine Arbeitsprozesse, für sein Publikum, und letztlich auch darüber hinaus für unsere demokratische Gesellschaft. Die Partizipation des Publikums ist echt, hat Einfluss auf das Geschehen, denn jede*r spürt, dass es ihn*sie angeht, was hier passiert.

Dabei ist das ganze so lustvoll gespielt, dass wir uns im Publikum ertappen, die immer neuen Entscheidungsmodelle auch gleich testen zu wollen – bis sie herrlich komisch alle scheitern. Die Ausstattung, die die erstaunlich große Bühne sehr offen hält, hat etwas von einem Experimentierfeld. Die Plüsch-Requisiten erzählen: Hier haben sich Menschen gern – und auch wenn sie sich die Köpfe einhauen wollen, soll das bitte nicht wehtun. Nicht zuletzt beeindruckt, wie die Schauspieler*innen- Ebene dem Geschehen eine Dopplung und Ernsthaftigkeit hinzugefügt, ohne dass die Darstellenden aus den Rollen treten. Politisches Familientheater, aktuell, relevant, hinreißend komisch.